Warum wir Feministinnen sind

Wenn es um Fragen der (Geschlechter-)Gerechtigkeit im Kapitalismus geht, sollte man bei A wie Arbeit anfangen. Zunächst das völlig offensichtliche und quantifizierbare, bekannt aus Funk und Fernsehen: Frauen verdienen weniger Geld. Einerseits weil Berufe in denen primär Frauen arbeiten schlechter bezahlt werden, andererseits weil Frauen im gleichen Beruf weniger verdienen als Männer. Alle Argumente von wegen Tarifverträgen und gleicher Bezahlung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dort, wo Arbeitgeber die Wahl haben, Frauen finanziell schlechter dastehen als ihre männlichen Kollegen. Weniger bekannt ist die Ungleichverteilung der emotionalen Arbeit. Es ist in fast allen “klassichen” Familien die Aufgabe der Frau/Mutter für das Wohlbefinden aller zu sorgen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und als vermittelnde Instanz/emotionaler Puffer zwischen den Familienmitgliedern zu fungieren. Diese Aufgabe setzt sich in der Arbeitswelt fort: Aufgaben, in denen man die eigenen Gefühle nicht nach außen tragen darf, um dem*der Kund*in ein angenehmes Gefühl zu vermitteln, werden typischerweise an Arbeitnehmerinnen verteilt. Es ist ungemein anstrengend permanent zu lächeln und freundlich zu sein, insbesondere wenn das der eigenen Gefühlslage nicht entspricht. Diese Arbeit ist ganz selbstverständlich Teil von vielen Berufen, ohne dass sie sonderlich vergütet werden würden. Wir möchten diese anfangs angesprochene emotionale Arbeit bei uns gerechter verteilen – insbesondere, indem männlich sozialisierte Personen lernen, sich emotional um andere Menschen zu kümmern.
Ein überfälliger Anfang wäre es, Frauen ernst zu nehmen, wenn sie etwas sagen und nicht auf die Wiederholung ihres Beitrags durch einen Mann zu warten, um in Jubel über die gute Idee auszubrechen.
Wer über Geschlechter redet, sollte von Sexualität nicht schweigen. Am ehesten sticht natürlich die Objektivierung der Frau ins Auge, deren Sexualität, bzw die Verfügbarkeit dieser, immer und überall zur Schau gestellt wird, ohne dass es jemals wirklich um ihre Lust gehen würde. Das Narrativ des zu verführenden Mädchens spricht der Vorstellung eines begehrenden, autonomen sexuellen Subjekts Hohn. Hier geht es offensichtlich um die männliche, sexuelle Fantasie des Reinen und die Frau dient lediglich als Projekionsfläche für die eigenen Wünsche. Das männliche Gegenstück dazu ist die des seinen Trieben wehrlos ausgelieferten, dauergeilen und dauerwilligen Hengstes, der außerhalb des möglichst sportlichen Penetrationssex keine Art von Intimität braucht und der, wenn „es“ ihn denn überkommt, sich einfach nimmt, was er braucht. Sein Selbstbild und die Anerkennung von außen hängen direkt von der Anzahl seiner Sexualpartnerinnen und seiner Leistung im Bett ab. Dieses Bild ist nicht nur schädlich für Männer, sondern unterstützt auch die Tendenz, sexuelle Übergriffigkeit rechtzufertigen und zu entschuldigen. Es gilt, allen Menschen eine für sich stehende Sexualität und ihre eigenen Entscheidungen darüber zuzugestehen.
Die Objektifizierung von Frauen und die strukturelle, sexualisierte Gewalt ist seit Jahrtausenden ein wirksamner Mechanismus der Frauen kleinhält. “Freiheit hat mit Deutschland selbstverständlich was tun – sofern man wirtrtschaftlich dazu was beiträgt.” So drückte der Poet, Anarchist und Musiker Georg Kreisler das Verhältnis von wirtschaftlicher Macht und Freiheit im Kapitalismus aus. Und ähnlich sieht es mit der (Bewegungs-)Freiheit und der (wirtschaftlichen) Macht von Frauen in unserer Gesellschaft aus. Die Erfahrung, sich nur in männlicher Begleitung frei (und was für eine Freiheit soll das bitte sein?) bewegen zu können ist nämlich keinesfalls eine mit der sog. “Flüchtlingskrise” importierte, sondern gehört seit langer Zeit zur bitteren Realität. Besoffskis auf Dorffesten, die ihren Mitschülerinnen auf dem Heimweg hinterherpfeifen, sie angrapschen oder schlimmeres, Azlacks die den Wert von Frauen an der Größe und Form ihres Hinterns messen und sie das spüren lassen und einen Riesenhaufen anderer Männer jeglicher Couleur, die im öffentlichen Raum Frauen gegenüber massiv respektlos auftreten, sorgen dafür, dass Frauen ständig Risiken abwägen müssen, die Männer nicht einmal wahrnehmen. Dabei darf nicht der Blick dafür verstellt werden, dass das Damoklesschwert der sexualisierten Gewalt, das über Nicht-Männern im öffentlichen Raum so präsent schwebt, tatsächlich in der absolut überwiegenden Zahl der Fälle im privaten Nahbereich zum Einsatz kommt. So präsent und unangenehm Grenzüberschreitungen im Alltag auf der Straße sind, so sind sie doch nichts im Vergleich zu den alltäglichen, extrem gewaltvollen Übergriffen, die insbesondere Frauen im häuslichen Bereich erleben müssen. Hier greifen weitere Narrative über die Rolle der Frau und die Rolle des Mannes, sodass Frauen dieser Gewalt, ausgeübt von ihren engsten Vertrauten, teilweise ein Leben lang schutzlos ausgeliefert sind. Diese hunderttausendfachen Fälle interessieren die Öffentlichkeit schlicht und ergreifend nicht, solange der Täter ein weißer Deutscher ist und die Frau weiter lebt und möglichst still leidet. Das einzige Opfer von sexualisierter und frauenfeindlicher Gewalt, dem im öffentlichen Diskurs keine Mitschuld am Geschehen aufgebürdet wird, ist die tote Frau. Wenn das passiert, heißt es “Familientragödie” und der so “freundliche, unauffällige Familienvater” hat einfach “keine anderen Ausweg” gesehen. Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft den Mord an Ehefrau und Kindern aufgrund z.B. finanzieller Schwierigkeiten als “Ausweg” ansieht?
Unser Bild von dem, wie die Geschlechter angeblich sind, lässt sich leider nicht so einfach ablegen, sondern sitzt tief und ist manchmal dem eigenem Zugriff entzogen. Sozialisation, Erziehung, tägliche negative wie positive Sanktionen für Sein und Verhalten eingebettet in Kulturindustrie und ökonomischen Zwänge schaffen einen Verblendungszusammenhang, der kaum zu durchdringen ist.
Feminismus, verstanden als Bewegung zur Befreiung der Frau, kann also nicht nur Frauen in den Blick nehmen. Zu einer gesellschaftlichen Umverteilung von Aufgaben und einem veränderten Frauenbild gehört ebenso ein verändertes Männerbild. Wir müssen aufhören, Männer dafür abzustrafen und zu sanktionieren, wenn sie vermeintlich weibliche Eigenschaften an den Tag legen. Im Gegenteil, wir müssen einfordern, dass sie sich diese Eigenschaften und Fähigkeiten wieder aneignen! Der Grad an Emotionslosigkeit, der notwendig ist, um den gängigen Anforderungen an Männlichkeit zu entsprechen, lässt Männer im Allgemeinen als emotional tot dastehen, unfähig, mit ihrem permanet fragilen Ego umzugehen. Jede “schwache” Gefühlsregung kann zur existenziellen Krise werden, steht sie doch im Widerspruch zum Selbstbild und den Rollenanforderungen der Außenwelt. Dies gegenüber anderen Männern zu thematisieren, sich Hilfe zu suchen und um Unterstützung zu bitten, scheint noch immer dem sozialen GAU nahezukommen.
Je weniger ein Individuum den sehr strikten Geschlechteranforderungen entspricht, desto mehr steht es unter kritischer Beobachtung der Gesellschaft, die sich über die offene Ablehnung bis zur gewalttätigen Verfolgung ausdehnen kann.

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